Károly Pap - Azarel

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    Kàroly Pap – Azarel



    Gyuri Azarel, das dritte Kind eines ungarischen Rabbiners verbringt die ersten Lebensjahre bei seinem Großvater Jeremia, der den kleinen Jungen auf eine Reise nach Jerusalem vorbereitet um aus ihm einen wahren Juden zu machen, der nicht, wie Jeremias Söhne und vor allem Gyuris Vater ein Opfer der Assimilation werden soll.
    Der Großvater lebt in einem Zelt, fastet sich zu Tode, reinigt sich täglich im eiskalten Fluss, verbrennt Kleidung und Spielzeug des Buben und fesselt ihn mit einem Gebetsschal an sich.
    Gyuri hat Angst, Angst vor dem Großvater, Angst vor den Mauern, den Pflanzen und den Steinen.


    Zitat

    Mich ängstigten die Farben und die Stimmen, mich ängstigten das Bleiben und die Flucht. Das Mauerwerk am Synagogenhof, das die Vorfahren aus alten Trümmerstücken errichtet hatten, war angefüllt mit unförmigen Steinen, deren außergewöhnliche Formen mich noch mehr erschreckten als der offene Hinterhof mit dem freien Weg zu den Gräbern, woher farbtrunkenes Gestrüpp herüberdrohte. Ich sah darin lebendige, bunte Tiere, die reglos dastanden, um mich einzuschüchtern und den Weg zu versperren, wenn ich vor Großvaters Gemurmel und dem Singsang der Schüler fliehen wollte. Die Steine faszinierten mich, Schädel von Riesen aus alten Zeiten starrten mich an, aus den Hohlräumen und Rissen ihrer Münder grinste buntes Geißblatt herüber.



    Doch der Großvater stirbt und Gyuri kehrt in den Schoss seiner Familie zurück. Die anfängliche Liebe zu den Eltern und den zwei älteren Geschwistern dezimiert sich je älter der Junge wird.
    Gyuri sehnt sich nach Liebe und Zuwendung, für die jedoch kein Platz in diesem Haushalt ist. Geldsorgen und das Ansehen des Vaters als Rabbiner sind die Hauptthemen der Eltern während den gemeinsamen Mahlzeiten.


    Zitat

    Während des Essens spricht er dauernd mit Mutter, und voller Bitternis vernehme ich, dass auch er immer nur von dem spricht, was Geld gekostet hat oder kosten wird. Außer, dass wir gut lernen, scheint mir dies das einzige, worum sich Vater kümmert, und ich denke mit Hass und Furcht an das Geld, von dem meine Eltern anscheinend immer zu wenig haben, obwohl doch alles Geld kostet, was es gibt, auch das , was wir jetzt bei Tisch aufessen. Einmal denke ich daran, wie gut es wäre, nicht essen zu müssen und nicht so hungrig zu sein, wie ich es immer bin. Dann überlege ich, wenn wir mehr Geld Hätten, ob sie sich dann mehr um mich kümmern, mich heftiger küssten und mich fragen würden, was mir passiert sei. Ich weiß es nicht, aber ich esse das, was sie mir vorlegen, mit wachsender Beschämung.


    Gyuris Neugier und Wissensgier werden belächelt, seine Sorgen, seine Sehnsüchte nicht ernst genommen, bis es fast zu einem Suizidversuch kommt, worauf der Junge von seinem Vater halbtot geschlagen wird.
    Gyuri will sich an seinen Eltern rächen und beginnt offen die Existenz Gottes in Frage zu stellen, lauthals am Glauben des sich assimilierten Vater zu zweifeln, droht der Mutter bei einem christlichen Handwerker in Lehre zu gehen und sogar zum Christentum zu konvertieren, er stößt immer mehr auf Unverständnis, wird immer mehr für sein „dummes“ Benehmen bestraft bis er zu Hause wegläuft mit dem Plan, den Vater öffentlich bloßzustellen…


    Schon lange hat mich kein Buch so berührt. Mit leidenschaftlicher und doch niemals pathetischer Sprache, beschreibt Pap die tiefe Verwundbarkeit eines intelligenten und sensiblen Kindes. Die Erlebnisse des jungen Gyuri werden aus der Perspektive des erwachsenen Pap kommentiert, was diesem aparten Porträt einen eindrucksvollen psychologischen Tiefgang gibt.


    Die stark autobiographische Geschichte erzählt Pap mit bemerkenswerter Schärfe, die ihm 1937 beim Erscheinen seines Buches einen ungewöhnlichen Prozess bescherte.
    Der Ungarische Zionistische Verein veranstaltete ein Literaturtribunal, Pap wurde die Erniedrigung der Eltern und die Respektlosigkeit gegenüber dem Rabbinerberuf vorgeworfen.


    Károly Pap einer der vielversprechendsten ungarischen Autoren, starb im Alter von 47 Jahren im Konzentrationslager von Bergen-Belsen.



    dora


    [size=1]EDIT: Betreff angepasst. LG, Saltanah[/size]

    Einmal editiert, zuletzt von Saltanah ()

  • Dankeschön für Deine Rezension, Dora! Nun bin ich ganz glücklich, dass ich das Buch Ende letzten Jahres als Mängelexemplar erstanden habe... :herz:



    Selbstverständlich werde ich nach Lektüre auch berichten.


    Liebe Grüße
    dubh

    Liebe Grüße

    Tabea

  • Hallo dubh,


    irgendwie habe ich gewusst, dass wir uns hier wiederbegegnen würden... :zwinker:


    liebe Grüße
    dora, die sich auf deine Eindrücke freut und vielleicht auch auf einen Austausch, denn der bietet sich bei diesem Roman an


    :winken:

  • Der Inhalt ist im ersten Posting schon skizziert.


    Unklar blieb für mich, wieviel Zeit Gyuri eigentlich bei seinem Großvater verbringt. Angesichts dessen, was über die materielle Ausstattung gesagt wird, kann ich mir nicht vorstellen, daß ein Winter keine Spuren in Gyuris Erinnerung hinterlassen hätte, daher würde ich vermuten, daß es wohl nur einige Monate waren, aber für einen vielleicht Fünfjährigen ist das sicher trotz allem ein drastischer Einschnitt. Der Großvater ist ein Pseudo-Gelehrter, der sich aus zweifelhaften Texten eine eigene Auslegung gebastelt hat und glaubt, mit besonderer Strenge gegen sich selbst (und den Jungen) das Anrecht auf ein Wunder zu erwerben: die Versetzung nach Jerusalem. Das funktioniert natürlich nicht, hinterläßt aber in der Kompromißlosigkeit vor allem Angstgefühle in dem Jungen.


    Kein Wunder ist daher, daß Gyuri sich zurück bei seinen Eltern und Geschwistern nicht mehr zurechtfindet. Dabei ist die psychologische Ebene nicht zu unterschätzen, denn die Famiie ist nicht in der Lage, auf Gyuri zuzugehen und ihn so in Liebe wieder aufzunehmen, daß er sich auch angenommen fühlt. Da Gyuri zudem recht frühreif ist und durchaus existentielle Fragen stellt, darauf aber keine befriedigende Antwort erhält, greift auch er nach dem Vorbild des Großvaters zum Mittel des trotzigen Selbstrückzugs und schließlich zur offensiven Aggressivität mit dem Ziel der Bloßstellung. Daß der Roman angesichts der Infragestellung auch religiöser Dogmen einen Skandal ausgelöst hat, kann ich mir daher gut vorstellen. Allerdings ist gerade das eine Ebene des Romans, die sich mir nur schwer bis gar nicht erschließt, was aber wohl eher an mir als am Autor liegt. Meine Kenntnisse über das Judentum insgesamt und über die ungarischen Juden im besonderen sind dafür einfach zu dürftig.


    3ratten


    Schönen Gruß,
    Aldawen