Luigi Guarnieri - Das Doppelleben des Vermeer

  • „Endlich stand er vor dem Vermeer, den er strahlender in Erinnerung hatte, noch verschiedener von allem, was er sonst kannte, auf dem er aber dank dem Artikel des Kritikers zum ersten Mal kleine blaugekleidete Figürchen wahrnahm, ferner, dass der Sand rosig gefärbt war, und endlich auch die kostbare Materie des ganz kleinen gelben Mauerstücks. Das Schwindelgefühl nahm zu; er heftete seine Blicke – wie ein Kind auf einem gelben Schmetterling, den es gern festhalten möchte – auf das kostbare kleine Mauerstück. So hätte ich schreiben sollen, sagte er sich. Meine letzten Bücher sind zu dürr, ich hätte die Farbe in mehreren Schichten auftragen, hätte meine Sprache so kostbar machen sollen, wie dieses kleine gelbe Mauerstück es ist.“
    (Aus Marcel Proust „Eine Liebe Swanns“)



    Dieser Roman beginnt mit der Verhaftung von Han van Meegeren im Jahre 1945, dem man Handelsbeziehungen mit dem Feind vorwirft. Angeblich soll er dem Nazischergen und Kunstliebhaber Hermann Göring nationales Kulturgut, Vermeers Gemälde Christus und die Ehebrecherin verkauft haben. Nach etlichen unerbittlichen Verhören der niederländischen Polizei, gesteht van Meegeren, dieses Bild selbst gemalt zu haben. Da niemand bereit ist, ihm zu glauben, sieht er sich gezwungen, sein Geständnis zu beweisen. Und dies ist schwieriger, als eine Fälschung zu verkaufen. Was folgt ist die unglaubliche Biographie des wohl bedeutendsten Kunstfälschers aller Zeiten.


    Die verletzte Eitelkeit van Meegerens, oder VM – wie er konsequent in diesem Buch genannt wird – durch die vernichtende Kritik seiner Bilder, führt zu Auflehnung und Verachtung gegenüber der Meute von Koryphäen und Journalisten der Kunstwelt. Er wagt den Entschluss, die gesamte Kunstszene unwiderruflich in ihren Grundfesten zu erschüttern, indem er sie bloßstellt und die Gesellschaft an deren Gutachten zweifeln lässt. Er wird ihnen ein verschollenes Werk des Jan Vermeer präsentieren, welches zweifellos aus dem 17. Jahrhundert stammen könnte und jeglicher Analyse standhält. Der Leser darf VM während der Entstehung dieses Gemäldes über die Schulter blicken. Uns werden die verwendeten Farben, die Techniken, die möglichen Motive, die Signatur von Vermeer und das „Craquelé“ – die entstandenen Risse nach Trocknung der Farben - fachmännisch nahe gelegt, so technisch und sachlich beschrieben wie aus der Diplomarbeit eines Kunststudenten. Die Besonderheiten der Vermeer-Gemälde werden erläutert und selbstredend – seine Biographie.


    Die Fakten entsprechen der Realität, doch hätte dem Buch eine Prise Dichtung sicherlich gut getan. Der Lesespaß lässt kurzzeitig nach, wenn Guarnieri mal wieder ausschweift und seine eigentliche Geschichte aus den Augen verliert. Kehrt er jedoch zurück zur Biographie des VM, kehrt mit ihm das Vergnügen des Lesers zurück.


    „Mehr als zweihundert Jahre nach seinem Tod berührt uns Vermeer immer noch so sehr, weil seine Bilder – vielleicht – rückwärts gewandte Sehnsucht, unmögliche Liebe, Einsamkeit evozieren. Weil seine rätselhaften, stillen Gestalten traumhafte Darstellungen der Schönheit, der Leidenschaft, der Ewigkeit sind – das, was alle undeutlich und unbewusst suchen, ohne es finden zu können.“


    4ratten


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    Gruß,
    dumbler