Saša Stanišić - Wie der Soldat das Grammofon repariert

Es gibt 7 Antworten in diesem Thema, welches 4.334 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von schokotimmi.

  • Über den Autor (laut Klappentext):
    Saša Stanišić wurde 1978 in Višegrad in Bosnien-Herzegowina geboren und kam als Vierzehnjähriger nach Heidelberg. Seit 2004 studiert er am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Stanišić hat zahlreiche Stipendien und Preise erhalten, u. a. den Publikumspreis beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb 2005. „Wie der Soldat das Grammofon repariert“ ist sein Romandebüt.


    Meine Meinung:
    Aleksandar, ein kleiner phantasiebegabter Junge, wächst in der bosnischen Kleinstadt Višegrad auf. Seine Welt ist in Ordnung und sein größtes Talent ist das Erfinden von Geschichten.
    Aber welche Welt ist in Ordnung wenn ein Krieg in voller Wucht und mit all seiner Gewalt auch in Višegrad einbricht? Seine Familie muss nach Deutschland fliehen. Aleksandars Fabulierkunst hilft ihm, sich seine Heimat zu erzählen und wach zu halten. Als erwachsener junger Mann kehrt er in seine Heimat zurück, um sich der dortigen neuen Realität zu stellen und mit seinen Erinnerungen zu vergleichen.


    Mich hat dieser Roman ganz besonders berührt. Ich denke, dass jeder von uns damals fassungslos vor den Bildern des Bosnien Krieges gesessen hatte. Und hier wird ein kleiner Junge beschrieben, dessen Welt ganz langsam von diesem entsetzlichen Krieg eingeholt und Stück für Stück demontiert wird. Nur seiner Phantasie verdankt er, dass er sich ein Stück Heimat bewahren kann. Anfangs dachte ich beim lesen wieviel Glück dieser Junge hatte, bis der Krieg Stück für Stück in die Erinnerung und Erzählung von Aleksander eindringt. Erst fast unmerklich und dann mit all seinen Grauen, das ein Kind erfassen kann.


    4ratten


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  • Aleksandar Krsmanović ist ein sonderbarer Junge, noch sonderbarer als sein Freund Edin, der Ballett tanzt, obwohl er sich mit seinen langen Gliedmaßen eigentlich nur staksend fortbewegen kann. Doch Aleksandar liebt seine Heimat, vor allem den Fluss Drina, der durch sein geliebtes Višegrad fließt und manchmal sogar mit ihm spricht, und seinen toten Opa Slavko, den „Cicero von Višegrad“, der zu Titos Zeiten ein begnadeter Redner und respektierter Parteigenosse war. In eine Kindheit wie viele andere bricht der Krieg ein, vor dem Aleksandar mit seinen Eltern und seiner angeblich taubstummen Großmutter nach Essen flieht. Aleksandar bleibt in Deutschland, auch als der Rest der Familie in die USA übersiedelt. Und dann kommt der Tag, an dem er von seiner anderen Großmutter hört, die ihm ein Paket mit seinen gesammelten Schulaufsätzen, die stets das Thema verfehlt haben, aber voller Phantasie steckten, schicken will. Aleksandar beschließt, nach Sarajevo zu fliegen und sich das Paket abzuholen. Dabei lernt er einige Geschichten aus dem Krieg, vor allem die eines denkwürdigen Fußballspiels um Leben und Tod.


    Saša Stanišić verarbeitet in seinem Romandebüt Geschichten aus dem Krieg, einem Krieg in Europa, dessen Ausbruch in den 90er Jahren eigentlich niemand mehr so recht fassen konnte. Das Grauen wollte sich bei mir nicht so recht einstellen (die Episode mit dem Fußballspiel bildet hier vielleicht die größte Ausnahme). Für meinen Geschmack zu viel Raum nimmt die Rekonstruktion der Kindheit ein, die sich wenig von ähnlichen Texten, die eben über eine Kindheit auf dem Land bzw. in der Kleinstadt schreiben, unterscheiden. Die gesammelten Aufsätze in der Mitte des Buches wirken größtenteils auch wie ein Fremdkörper, entweder kennt man die Geschichten bereits aus dem Teil über die Kindheit, oder sie wirken nicht wie Schulaufsätze eines 12-jährigen.


    Der gelungenste Teil, der dem ganzen auch eine Klammer gibt - bis Seite 213 war ich mir nicht sicher, ob ich mit der Genrebezeichnung „Roman“ bei einem Text einverstanden bin, der eigentlich aus einer Aneinanderreihung von mäßig aufeinander bezogenen Anekdoten besteht. Aber dann nimmt sich Stanišić Zeit für seine Figuren und erzählt die Geschichte des Fußballspiels zwischen Bosnien und Serbien. Er begleitet Aleksandar erst nach Sarajevo, dann nach Višegrad und viele der vorher aufgebrachten Motive tauchen wieder auf und fallen an ihren Platz im Gesamtgefüge. Die Komposition erschien mir vom Ende aus betrachtet daher viel weniger beliebig, was dem Buch natürlich guttut.


    Am Ende versammelt sich die Familie noch am Grab von Aleksandars Großvater Slavko. Die Urgroßeltern stehen neben dem Urenkel, neben der Schwiegertochter und dem Enkel, der selbst zum Kriegsverbrecher geworden ist und sich mit Gewalt gegen jede Art der Verurteilung wehrt. Aufarbeitung gibt es nicht, Zivilcourage gibt es auch nicht, aber sie wäre für einen Rückkehrer, der nur einige Wochen bleibt und dann wieder in das andere, das „zivilisierte“ Europa zurückkehrt, vielleicht auch ein bisschen billig.


    Dennoch hat mich der Text nicht so sehr ergriffen, er ist zu fragmentarisch, zu sehr auf die unterbrochene, die unvollständige Kindheit Aleksandars fixiert. Die Kriegsgeschehnisse und die Beweggründe für die eine oder anderen Eindrücke bleiben Ornament und weitgehend im Dunkeln. Das macht erzählerisch Sinn, da Aleksandar als Kind nicht begreift, was geschieht, als Erwachsener nicht nach dem, was geschehen ist, zu fragen wagt.


    Ein Buch, das sich recht leicht liest, wenn auch die Sprache manchmal etwas zu überladen daherkommt, und einen sehr speziellen Blick auf diesen Krieg wirft, für den der Krieg dann wieder fast Nebensache ist, was dem Roman dann wieder ein bisschen von seiner Besonderheit nimmt.

  • Hallo,


    zum Inhalt dieses Buches wurde schon genug gesagt und auch Durchdachtes zu seiner Wirkung.


    Meine Meinung:
    Weniges aus der Gegenwartsliteratur hat mich in letzter Zeit so angerührt wie dieser Roman. Sowohl die Beschreibung von Aleksandars Kindheit als auch die Kriegserlebnisse sind so dargestellt, dass sie einen berühren, ohne sentimental zu sein. Die Grausamkeit und Sinnlosigkeit dieses Bürgerkrieges wird für mich - im Gegensatz zu Steerpikes Meinung - sehr gut fassbar.
    Der junge Autor benutzt eine varianten- und metaphernreiche Sprache, ohne abgedroschen daherzukommen.
    Auch lachen kann man zwischendurch, besonders im ersten Teil.
    Mehr davon!


    finsbury

  • Ich habe heute morgen zum Kaffee das erste Kapitel genossen und bin begeistert davon, wie der Autor mit Sprache umgeht. Ich hoffe, das (und auch meine Begeisterung) hält sich über das gesamte Buch. Bisher ist noch nicht viel passiert, ich habe Aleksandar und seine Familie kennengelernt, allerdings ist auch sofort ein Verlust zu beklagen, denn Aleksandars Großvater ist gestorben. Der Junge selbst erscheint aufgeweckt und fantasievoll, ich bin gespannt, was wir noch erleben werden.


    Viele Grüße
    Breña

    "Natürlich kann man sein ohne zu lesen, ohne Bücher, aber ich nicht, ich nicht." J. L. Borges

  • Hierzu möchte ich meine abschließende Meinung nicht schuldig bleiben, besonders, da der Roman weitere positive Stimmen durchaus verdient hat.


    Was mir am deutlichsten in Erinnerung geblieben ist, ist Stanišićs Umgang mit Sprache. Seine Art und Weise zu formulieren entspricht nicht den gängigen Regeln und mag manchmal irritieren, mich konnte er damit begeistern. Manchmal reicht eine etwas ungewöhnliche Satzstellung, um durch die so entstandene Betonung den Sinn hervorzustellen und nichts weiter sagen zu müssen. Daneben steht der Gegensatz zwischen dieser Schönheit des Erzählens und dem Inhalt. Das Grauen des Krieges und seine Folgen, nicht nur für Aleksandar, lassen dem Leser das Lächeln einfrieren und schwer schlucken. Dabei gibt es meist nur Andeutungen. Beobachtungen, die ein Kind nicht verstehen kann und der Erwachsene nicht verstehen will.


    Leider verhindert die episodenhafte Erzählweise und auch das Vermischen verschiedener Textformen, dass eine wirklich dichte Geschichte entsteht, auch wenn im Verlauf der Erzählungen immer wieder Teile an die richtige Stelle fallen und sich das dargestellte Bild vervollständigt. Andererseits entsteht dadurch etwas legendenartiges, besonders, weil Stanišić manchmal fast magische Elemente einbringt, manchmal etwas, das an einen Schelmenroman erinnert.


    Ein eigenwilliges, aber eindringliches Leseerlebnis.


    4ratten


    Viele Grüße
    Breña

    "Natürlich kann man sein ohne zu lesen, ohne Bücher, aber ich nicht, ich nicht." J. L. Borges

  • Hallo,


    ich habe es nun nach fast 3 Monaten endlich geschafft dieses Buch zu lesen. Leider bin ich mit dem Gesamtwerk nicht warm geworden. Vllt. weil ich es zu lange und gestückelt gelesen habe, aber für mich wurde es ab der Hälfte immer schwieriger zu folgen. Es gab zwischen drin immer mal gute Momente, aber viele Episoden blieben mir fremd.
    Die eindrücklichen Momente berührten mich und ließen mich manchmal beklemmend zurück. Die Sprache hat hier viele Bilder und Emotionen hervorgerufen.


    Alles in allem bin ich aber froh, es endlich beendet zu haben. Vllt. sollte ich dieses Buch in anderer Stimmung nochmal lesen, zurzeit kann ich aber nur 2ratten geben.


    Viele Grüße
    schokotimmi


  • Leider bin ich mit dem Gesamtwerk nicht warm geworden. Vllt. weil ich es zu lange und gestückelt gelesen habe, aber für mich wurde es ab der Hälfte immer schwieriger zu folgen. Es gab zwischen drin immer mal gute Momente, aber viele Episoden blieben mir fremd.


    Da kann ich mich nur anschließen. Auch wenn ich gestehen muss, dass ich das Buch nie beendet habe, es ist einfach nichts für mich. :redface:

  • Da kann ich mich nur anschließen. Auch wenn ich gestehen muss, dass ich das Buch nie beendet habe, es ist einfach nichts für mich. :redface:


    Nach den ganzen guten Kommentaren habe ich mich fast schlecht gefühlt es zu schreiben, aber ich war auch oft versucht es abzubrechen. Da ich aber in letzter Zeit so einige ebooks einfach abgebrochen habe, war dies auch eine Ermahnung an mich selbst. Der Stoff war es auf jeden Fall Wert und zu einer anderen Zeit begeistert mich es vlt. ja noch.


    Gruß
    schokotimmi