Über den Autor
Thomas Harris, 1940 in Mississippi geboren, begann in seiner Studentenzeit als Nachtreporter zu arbeiten. Später war er Reporter und Redakteur bei AP in New York. Sein erster Roman, "Schwarzer Sonntag" erschien 1975, der Nachfolger "Roter Drache" 1981. Beide wurden weltweit Bestseller und erfolgreich verfilmt. 1988 erschien sein bislang größter Erfolg, "Das Schweigen der Lämmer", der mit HANNIBAL seine Fortsetzung gefunden hat.
Klappentext
Litauen, 1945: Sowjetische Soldaten greifen im Wald einen verstörten, halb verhungerten Jungen auf. Er trägt eine Kette mit einem Vorhängeschloss um den Hals und bringt kein einziges Wort hervor. Niemand ahnt, was dieser Junge, Hannibal Lecter, in den letzten Kriegsmonaten durchgemacht hat. Seine Erlebnisse gipfelten im Tod der Eltern und seiner kleinen Schwester Mischa und müssen so schrecklich gewesen sein, dass sie ihn verstummen ließen. Auch Hannibal selbst kann sich nur bruchstückhaft an die Zeit im Jagdhaus erinnern, wo sich die Familie in den Kriegswirren versteckt hielt. Nachts schreckt er aus furchtbaren Albträumen hoch, in denen er den Namen seiner Schwester schreit. Hannibals Onkel und dessen bezaubernde japanische Gattin Lady Murasaki nehmen den hoch talentierten Jungen in ihrem Chateau in der Nähe von Paris auf. Seine Sprache findet Hannibal als Dreizehnjähriger kurz vor seinem ersten Mord wieder. Von seinen Dämonen kann er sich erst befreien, als er für die entsetzlichen Geschehnisse im Jagdhaus Rache nimmt.
Kritik:
Als großer "Hannibal Lecter"-Fan musste ich dieses Buch natürlich so schnell wie möglich lesen. Nach den großartigen Werken wie "Roter Drache", "Das Schweigen der Lämmer" und "Hannibal" (übrigens mein Lieblingsbuch von diesen dreien) erlaubte sich Harris, über die goldene Regel des Autorentums zu springen: Verrate nie die letzten Geheimnisse deiner Hauptfigur.
Harris hat es getan - Obwohl man Hannibal Lecter nach der Lektüre immer noch nicht beschreiben kann. Zumindest gibt uns Harris einige Gründe, warum Lecter Lecter geworden sein könnte. Eine Kindheit, die in Kriegszeiten, gerade im Ostblock, als sich die deutsche Wehrmacht zurückzog, fast schon Standard war. Das Erleben von Gewalt, das Erleben von Tod, Zerstörung und Hass.
Und dann kommt es: Der adelige Hannibal, der schon in Jugendjahren sein enormes intellektuelles Potenzial aufblitzen lässt, verliert seine gesamte engere Familie, zum Teil durch den Kannibalismus hungriger Soldaten. Dieses Szenario liegt aufgrund der Geschichte rund um Lecter nahe, jedoch ist es absolut nicht unrealistisch, wie einige Kritiker momentan behaupten:
Kannibalismus war gerade in Russland bei erfrierenden und verhungernden Soldaten gegeben. Auch mein Großvater, der Mitglied einer Partisaneneinheit war und in Stalingrad verwundet und gefangengenommen wurde, hat mir das einmal via oral history bestätigt: Gefressen und gefressen werden- Im Krieg zählte letztlich das Überleben und es war oft ein gemeinsamer Konsens geschlossen: Friss mich, wenn ich tot bin, und lebe.
Aber auch mit Gewalt gegenüber den Feinden oder der Zivilbevölkerung wurde Kannibalismus betrieben.
Das Unaussprechliche musste auch die das liebste Familienmitglied Hannibals erfahren - und damit begann Lecters wahnsinnige und gestörte Seite zu wachsen. Die ersten rund 100 Seiten beginne ruhig, erzählend: Doch wie gesagt, beginnt dann das Böse in Lecter zu erwachen, die Suche nach ewiger Rache, die anschließend, als die Rache gefunden, in Wahnsinn ausartet, vielleicht, da, wie große griechische Philosophen schrieben, Rache niemals zum Ziel führt, also schon gar nicht süß ist ...
Harris entschuldigt nicht - wie manche Kritiker behaupten - die nachfolgenden Taten Lecters - sondern "erklärt" sie. Und das ist das an sich faszinierende und tolle an dem Buch, nämlich, dass Massenmörder nicht als Massenmörder geboren werden, sondern - dass das Böse in uns allen lauert - um durch gewisse Ereignisse, Prozesse und Strukturen aus uns hervorgeholt zu werden.
In uns allen lauert der Hannibal Lecter - Ist das nicht eigentlich das Schockierende an diesen Romanen und der eigentliche Grund, warum diese Metzgerei so gerne gelesen wird?
Nichtsdestotrotz ist es höchst interessant, wie Harris Lecters Jugendjahre beschreibt. Lecter findet nach wilden Erlebnissen Obdach in Frankreich, bei einer attraktiven Japanerin, die ich auch mal gerne treffen würde.
Lecter entwickelt in der frühen Zeit eine Lust zu morden. Rache wird zur Lust. Die ersten Morde kommen früh. Aber ich will nicht zu viel verraten. Typisch gruslig und blutig ist es auf alle Fälle. Jeder Mord bekommt seine typisch perverse, historisch-geisteswissenschaftliche Lecter-Symbolik.
Und dann beginnt das Faszinierende bei Lecter: Die Erbauung seines berühmten Gedächtnispalastes - das heute sogar Forscher beschäftigt, die dies aus der Literatur entnommen haben. Lecters Studienzeit, ein Hoch und Tief, wobei sich Lecters unglaubliche Brillianz widerspiegelt. Dies ist schließlich der Kern der Geschichte: Lecters Entwicklung zum Massenmörder, als auch zur unbegreiflichen Intelligenzbestie, der ein Buch nach dem anderen frisst (naja, auch Menschen ...)
Harris schreibt diesmal ziemlich gestochen scharf, in kurzen Sätzen, prägnant, nicht verschachtelt. Die Kapitel sind kürzer als sonst, es scheint jedoch absichtlich so geschrieben. Das macht aber das Buch eigentlich spannend, denn diese Geschichte verdient es förmlich emotionslos und trocken über die Bühme gebracht zu werden - Perversität bleibt Perversität, und das ist das Faszinosum.
Ich kann das Buch wirklich empfehlen - und hoffe noch auf möglichst viele Lecter-Romane. Man darf sich jedoch kein "Schweigen der Lämmer" oder "Roter Drache" erwarten. Es ist völlig anders, und deshalb besonders.
Ebenfalls freue ich mich schon auf Februar 2007, wo ich mit meiner Mutter - die lustigerweise ein totaler Lecter-Fan ist - ins Kino gehe und hoffentlich Hannibal Rising genießen kann.
Dementsprechend bleibt mir nichts anderes über, als hier jetzt zu schließen und zu hoffen, dass meine erste Rezension nach meiner Rückkehr euch gefallen - oder soll ich es in diesem Fall eher sagen, "gemundet" hat.
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EDIT: Betreff angepasst. LG, Saltanah