Beiträge von Ralf28

    das mag ja sein, aber ich verstehe das Problem nicht ganz.


    Wenn du den "Ulysses" verstehen willst, dann kommst du um Homer nicht herum. Joyce´"Ulysses" ist ja kein Fantasy-Roman, an den jeder unbedarft herangeht, sondern du kannst ihn nur verstehen, wenn du die Hintergründe kennst, und je mehr du davon kennst, desto besser kannst du den Roman verstehen.


    Ralf

    Aber Stefanie das ist doch das Hauptmotiv in der Odyssee, und Joyce hat ja seinen Roman "Ulysses" nach dem homerischen Helden Odysseus genannt. Er hat ja grossen Wert darauf gelegt, diese Parallelen herzustellen, weil diese mythologische Erzählung Struktur und Kern seines Romans ist.


    Wenn du so willst, darfst du kaum etwas über die inneren Strukturen des Romans sagen, da diese erst nach einiger Zeit sich erschliessen. Aber ich glaube, keine Geheimnisse auszusprechen, wenn ich auf die verschiedenen inneren Strukturen des Romans verweise. Joyce war auch immer ein "poeta Doctus".


    Ralf

    Na ja , da passiert im Prinzip nichts wesentliches mehr. Die Hauptpersonen treffen sich irgendwann und reden miteinander. das war es dann auch.


    "Ullysses" ist ja kein Spannungsroman, wo nicht verhersehbare Dinge geschehen. Die äusseren Ereignisse sind in diesem Roman fast nebensächlich. Joyce wollte einen Roman schreiben, um zu beweisen, dass an einem ganz normalen Tag in nuce die gesamte Weltgeschichte und Literatur untergebracht werden kann, dass also Mythos und Realität gänzlich in einem Durchschnittsindividuum verschmelzen können. Daher die einzigartige Vernetzung und Anspielungsdichte des Romans.


    Ralf

    Das ist es auch nicht.


    Wesentlich für den ganzen "Ulysses" ist die Vater-Sohn-Beziehung. Stephen wird in Bloom einen Vater finden, dieser in Stephen einen Sohn anstatt seines verstorbenen Kindes.


    So ist ja auch die Odyssee eine Vater-Sohn-Geschichte, in der der Sohn Telemach seinen verloren geglaubten Vater Odysseus wiederfindet.


    Ebenso spielt Shakespear´s Hamlet eine grosse Rolle in dem Roman, wie überhaupt Shakespeare eine zentrale Rolle in der Zitierweise von Joyce spielt.


    So begegnet Odysseus in der Hades-Episode seinem verstorbenen Vater Laertes.


    Ralf

    Es gibt in diesem Kapitel wie auch in anderen, die später folgen, eine gewisse historische Entwicklung. Auch der Sprachstil der einzelnen Kapitel verändert sich bis zum Ende hin. ebenso wie die Überschriften.


    Ralf

    Natürlich weiss er es.


    In einem späteren Kapitel begegnet er dem Liebhaber seiner Frau auf der Strasse und sein ganzer Bewusstseinsstrom wie oben beschrieben gerät aus den Fugen.


    Er ist halt ein sehr gutmütiger und etwas schwacher Mann.


    Ralf

    Sinuhe war eine der prägenden Lektüren meines Teenie-Alters. Ich habe das Buch verschlungen und kann noch ganze Passagen daraus zitieren. Es ist wunderschön geschrieben, man lernt viel über die damalige Geschichte und Kultur, und es hat diesen Hauch von Melancholie und Weltschmerz, dem ich mit 14 Jahren verfallen war.


    Ralf

    Man muss auch dazu sagen, dass es keinen Sinn macht, jeder Anspielung nacuzugehen und sie verstehen zu wollen. Joyce will diesen "Bewusstseinsstrom" schildern, also in Stephen geradezu hineinkriechen, und da hat es wenig Sinn, jede einzelne Assoziation verstehen zu wollen. Stephen würde sie wahrscheinlich selbst nicht verstehen.


    Seinem Charakter und seinem Werdegang gemäss ist sein "Bewusstseinsstrom" sehr intellektuell, diskursiv und abstrakt. Man sollte das einfach so lesen, wie man Gedanken eines Menschen oder seine eigenen lesen würde.


    Ralf

    nun beide, Molly und Leopold haben Geheimnisse voreinander.


    Molly hat einen Liebhaber und Leopold ist sexuell frustriert, da er schon seit längerer Zeit keinen Sex mit seiner Frau mehr hat.


    Sie hat einen Brief von ihrem Liebhaber bekommen, den sie vor ihm zu verbergen sucht, und er steht im Briefwechsel mit einer Frau, ohne dass bisher etwas passiert ist.


    Sie nimmt ihn als Mann nicht mehr für voll. oder sagen wir, ihr Respekt vor ihm, der noch nie sehr gross war, ist vollends erloschen. Daher auch ihre herablassende Art.


    Er wiederum phantasiert sich in Beziehungen hinein, ohne real Konsequenzen zu ziehen.


    Ralf

    Hallo


    Ich habe in meinem Soziologiestudium Kelsens Rechtslehre ansatzweise gestreift, aber ich halte ehrlich gesagt den juristischen Schuldbegriff für nicht akzeptabel. Das mag für das Strafrecht angehen, aber mir geht es um eine ganz andere Dimension.


    "Schuld" ist letzten Endes ein metaphysisches Konstrukt, das in der intrapsychischen Realität seine Berechtigung hat, aber durch eine Verbalisierung seine in ihm wohnende Kraft verliert.


    Die eigentliche Schnittstelle von "Schuld" ist natürlich die Theologie, vor allem die Lehre von der Erbsünde. Und da bemerkt man auch den christlichen Hintergrund von Dostojewskij.


    Aber wie gesagt, ich will das nicht weiter ausführen.


    Ralf

    Hallo Sandhofer


    Ich habe mir deine Thesen noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Ich halte sie immer noch für falsch, aber ich vermute, dass ich von einem anderen Ansatz ausgehe.


    Ich bin kein professioneller Literaturwissenschaftler, habe eigentlich Philosophie, Soziologie und Psychologie studiert und dann noch Klavier, studiere seit Jahrzehnten Zen (praktisch) und habe da auch einige sehr interessante Erfahrungen gemacht. Das zu meinem Hintergrund.


    Wic ich oben schon sagte, lese ich Literatur als ein geliebtes Hobby seit meiner Kindheit und habe auch schon sehr viel gelesen. Da ich kein Fernsehen schaue, habe ich dafür auch genügend Zeit.


    Ich lese Literatur vor allem im Hinblick auf die Gefühle und Empfindungen. die diese bei mir auslöst.


    Aber:


    Ich vergleiche natürlich auch diese Gedanken, Gefühle und Empfindungen mit meinen Erfahrungen, meinem theoretischen Wissen und, ganz wichtig, mit meinen Erkenntnissen in ZEN.


    Es geht mir da etwas wie in der Musik. Ein Klavieropus muss mich ansprechen, muss zu mir passen, sonst lege ich es weg.
    So gibt es Beethovensonaten, die ich zwar durchgespielt habe, die ich aber nie aufführen würde, da sie mich völlig kaltlassen.


    So ähnlich ist das bei Dostojewskij. Ich versuche, das Verhalten des Fürsten Myschkin nicht immanent zu verstehen, sondern vergleiche es mit meinen Erfahrungen in Psychologie, meinen Erkenntnissen in Philosophie und vor allem meinen unbewussten Empfindungen. Und da habe ich eine relativ klare Vorstellung von "Schuld". Und die habe ich auf das Verhalten von Myschkin angewandt. Von daher mein Urteil.


    Ich halte deine Thesen nicht deshalb für falsch, weil sie werksimmanent auf Myschkin nicht zuträfen, sondern ich halte sie von ihrem Inhalt her für falsch.


    Aber das müsste man an anderer Stelle diskutieren, ein Literaturforum ist dafür nicht der geeignete Ort.


    Vor vielen Jahren habe ich mein Studium mit einer fetten Schwarte über Freud und Jung beendet. Da wurde auch die Schuldfrage angesprochen. Aber seit dieser Zeit habe ich viel dazugelernt und würde meine Thesen heute nicht mehr aufrechterhalten.


    Mit freundlichen Grüssen


    Ralf

    Ja leider


    Ich habe 20 Jahre lang die Winkler-Bücher gesammelt und sie bilden eine Zierde meines Bücherregals. Vor allem sind sie unverwüstlich und altersresistent. Aber seit Winker bei Patmos gelandet ist, verlegen sie kaum noch etwas neues. Ich habe da mal mit einem Verleger gesprochen, der meinte, die Bildungsschicht, die die Winkler-Bücher kaufte, sei am Aussterben, es lohne sich einfach nicht mehr.


    Sehr schade eigentlich.


    Ralf

    Hallo sandhofer


    Inwiefern nimmt Mychkin die Schuld seiner Umgebung auf sich? Das würde mich einmal interessieren. Ich kann nämlich nichts, aber auch gar nichts dergleichen erkennen. Er versucht, es jedem rechtzumachen, jeden zu trösten oder zu bestätigen, aber er erfasst die Situationen überhaupt nicht, er versteht nicht einmal ansatzweise die Menschen um ihn herum. Wie so jemand deren Schuld dann auf sich nehmen kann, das ist mir rätselhaft. Denn um jemanden die Schuld abzunehmen, muss ich seine Problematik zuallererst verstehen und nachvollziehen können. Aber genau das tut er nicht.


    Ausserdem heisst "Schuld auf sich nehmen" ja auch, eine zumindest ansatzweise kathartische Wirkung zu erreichen. Das würde bedeuten, dass es den Leuten dann seelisch besser ginge. Auch davon bemerke ich nichts in dem Roman. Im christlichen Sinne heisst Schuldübernahme immer auch Erlösung von der Sünde. Natürlich geschieht diese Erlösung im Glauben, aber dann haben wir das Dilemma:


    Wenn Myschkin die Schuld im metaphysischen Sinn übernimmt, und das würde auf seine Christusähnlichkeit hindeuten, müsste er ein stärkerer Charakter sein, wie es oben erwähnt wird. Aber gerade das ist er nicht.


    Oder er übernimmt die Schuld im psychologischen Sinne, sagen wir wie ein genialer Psychotherapeut. Aber dann müssten die Menschen seiner Umgebung eine positive Änderung ihres Verhaltens erfahren, es müsste eine wie auch immer geartete Einsicht da sein. Aber auch diese ist nicht da, sondern die Menschen verhalten sich weiterhin so, als ob es Myschkin nicht gegeben hätte. Ergo hat er die Schuld von ihnen nicht übernommen.


    Ralf

    Hallo Dora


    Natürlich ist es dir überlassen, ob du diese slawische Melancholie magst. Ich mag auch zm Beispiel russische Klaviermusik sehr gerne und spiele sie auch, obwohl meine Klavierprofessorin immer über die Russen schimpfte und mit meiner Wahl überhaupt nicht einverstanden war.


    Und Tschechow ist natürlich ein genialer Schriftsteller, den ich sehr gerne mag. Wie ich auch Lesskow und Turgenjew sehr mag. Auch da findet man die "russische Seele" wieder.


    Aber diese Schriftsteller schlagen sich nicht mit ideologischem Kram herum und wollen auch nicht eine Heiligengestalt schaffen, wie dies Dostojewskij meinte tun zu müssen. Sie wollen auch nicht die Menschheit erlösen, wie dies Dostojewskij auch mit seinem slavophilem Getue versucht. Sie beschreiben einfach Charaktere.


    Ralf

    Hallo Sandhofer


    Mir ist klar, dass diese Attituden im damaligen Russland verbreitet waren und Dostojewskij eine historische Strömung wiedergibt. Das macht diese Attituden aber nicht wahrer oder zeitgemässer. Wie überhaupt diese ganzen ideologischen Diskussionen in seinen Romanen fürchterlich zeitgeistig und daher für uns Heutige irrelevant geworden sind. Diese slavophilen Ergüsse, diese absolute Überschätzung der orthodoxen Kirche, diese Diskussionen über Atheismus etc sind doch auf dem historischen Müllhaufen gelandet und mag uns heutige kaum mehr zu berühren.


    Was die Schuld angeht, da müsste man eine grössere Diskussion starten... natürlich redet Dostojewskij dauernd davon. "Alle sind schuldig", ist so ein Lieblingssatz von ihm. Aber was heisst das konkret?


    Ich lese die Literatur nicht aus historischem Interesse, sondern um meinen Horizont zu erweitern, neue Gedanken zu bekommen oder einfach um der Schönheit willen. Und in allen drei Dimensionen hat Dostojewskij mir nichts mehr zu bieten. Die Schuldfrage ist doch heute vor allem in der Tiefenpsychologie und in der Philosophie ziemlich ausdiskutiert worden, und ich sehe ehrlich gesagt nicht ein, wieso man hinter diesen Standard zurückgehen soll.


    Und was Nietzsche mit der Schuldfrage zu tun hat, ich weiss ja nicht..


    Aber das wäre ein Thema für eine Dissertation.


    Ralf

    Hallo


    Ich weiss, dass ich mich total unbeliebt mache, aber Dostojewskij wird meiner Meinung nach total überschätzt.


    Dieses ganze "oh Mensch" Getue, dass die Expressionisten dann 1:1 übernommen haben, diese christliche Attitude, die mit einem total reaktionären, antilliberalen und chauvinistischen Politikverständnis gepaart ist, diese an den Haaren herbeigezogenen Parallelen zu Jesus Christus, von dem Myschkin meilenweit entfernt ist, diese pseudotiefsinnige Psychologie, die ihren Reiz, wie oben beschrieben, aus 5minütigem Meinungswechsel bezieht, ohne den Ansatz einer Begründung zu liefern, dieses Gottsuchertum "wenn Gott nicht existiert, ist alles erlaubt", was natürlich Quatsch ist, logisch ethisch und pragmatisch, dieses schwülstige Getue und noch schwülstigere Erotik, die einem Pubertierenden besser anstünde als einem erwachsenen Menschen, diese hysterischen Frauen, die nicht wissen, was sie wollen und dann mit dem Nächsten davon laufen...


    Ich habe Dostojewskij gelesen und gelesen, immer in der Hoffnung, da muss doch etwas dahinterstecken, da muss doch etwas sein. Den "Idioten" habe ich dreimal gelesen, mit 20 30 und 40 Jahren, und habe nichts gefunden, sorry. Myschkin ist einfach ein Epileptiker und schwacher Charakter. Ihn mit Christus zu vergleichen, wie das manche tun, ist einfach Blasphemie. Er reagiert nicht adäquat auf seine Umwelt, er versteht nicht einmal ansatzweise, was um ihn herum vorgeht, er spricht den Frauen nach dem Mund, und je mehr diese eine männliche Reaktion von ihm erwarten, desto mehr flüchtet er sich in dummes Gerede. Er ist unter anderem ein klassischer Sexualneurotiker. Nach der damaligen Wertauffassung war er in dieser Beziehung natürlich ein Heiliger..


    Ralf