Beiträge von Nudelsuppe

    Das gebundene Buch wird gerade verramscht, bei Amazon kostet es schlappe 4,99 Euro - also ungefähr ein Euro pro Ratte ;) In fünf Jahren könnte es vielleicht 20 Euro Wert sein, also ist eine durchaus erfolgversprechende Antiquars-Aktie.


    4ratten gebe ich auch, allerdings deshalb, weil es tatsächlich etwas "kurz" ist (in jeder Hinsicht). Ein Mäuschen zusätzlich, weil Antiquare nunmal arrogant *sind*, immerhin legen sie den wa(h)ren Wert von Büchern fest, ziemlich frei und unbekümmert. Nun gut, seit dem florierenden Handel über das Internet nicht mehr ganz so frei. Rick Gekoski handelt allerdings mit Büchern, die es nur vereinzelt gibt und oft mit Widmungen versehen sind. Ab und an gelangt auch ein anderes Objekt rund um das Schreiben in den Katalog. (Online gibt es die letzten beiden auf http://www.gekoski.co.uk/index.php Gute Geschäfte hat er mit Graham Greene gemacht, mit Salinger hingegen nicht, aber diese Lücke gehört dazu.


    Der Guardian hat einen dieser Kataloge "rezensiert" http://www.guardian.co.uk/book…alogue-publishing-gekoski Robert McCrum spricht darin von einem "verlorenen Paradies"- aber auch von seiner Überzeugung, dass das Buch auch in E-Book-Zeiten nicht aussterben wird.


    "Eine Nacht mit Lolita" lässt sich locker und leicht lesen, ich empfand die "Arroganz" teilweise als wohltuend. Frei nach Arno Schmidt: Man kann lesen, was man will, aber der (literarische) Unterschied zwischen Enid Blyton und Tolkien sollte einem bewusst sein. Viele Anekdoten rund um Schriftsteller und die Entstehung/Geschichte der Manuskripte machen das Buch allemal lesenswert - der Preis der Bücher mag manchem seltsam erscheinen, denn der normale Buchhandelsmarkt vereinheitlicht die Preise: Ausstattung, Seitenzahl und Auflage legen den "Wert" in der Regel fest, unabhängig von der Qualität des Inhalts.


    Das ist sicherlich banal, aber man vergisst es manchmal. Mir gefallen die Preisangaben von Gekoski, die (bei ihm) immer auch mit Wertschätzung verbunden sind.


    Was mir in diesem Zusammenhang immer wieder auffällt: So viel hat sich im Buchmarkt im Prinzip nicht geändert. Besondere Bücher hatten es immer schwer, ihr Publikum zu finden. Skandale konnten dabei beides anrichten: Jemanden berühmt machen oder wirtschaftlich vernichten - Melville (Moby Dick) veröffentlichte später unter Pseudonym, da sein Name "verbrannt" war.


    Um mit Gekoskis eigenen Worten zu sprechen: Sein Buch ist keine Literatur, als Einstieg in das Parallel-Universum der kostbaren Bücher konnte es mich aber überzeugen.

    Ich lese auch die Rathjen-Übersetzung, die mir aufgrund ihrer Eigenart besonders gefällt. Es gibt den Vorwurf, dass er es sich etwas einfach gemacht hat, indem er einen "Übersetzungsschritt" wegließ - Rathjen nennt ihn "glätten". Ich kann mir inzwischen gut vorstellen, wie der Konflikt entstanden ist und warum Hanser eine Überarbeitung in Auftrag gegeben hatte.


    Einerseits. Andererseits entsteht so tatsächlich ein eigenwilliges Textmonstrum, das - ein gutes Argument Rathjens - wohl auf heutige Leser ähnlich irritierend wirken mag (@Aldawehn ;) wie seinerzeit das amerikanische Original.


    Einerlei. Für mich ist die Übersetzung ein Genuss, gerade weil sie gegen die Sprache gebürstet ist. Rathjens kommt aber auch m. E. aus der - kritisierbaren - Arno Schmidt-Ecke, das heißt, an vielen Ecken und Enden wirkt die Übersetzung gewollt und prinzipiell, was man auch mit "leicht rechthaberisch" übersetzen könnte. Das nehme ich für die Besonderheit/Eigenwilligkeit (von der man viel über Sprache und Sprachwirkung lernen kann) aber gern in Kauf.

    Hallo Bluebell,


    angeblich ist Hard-Boiled Wonderland das einzige Buch Murakamis, für das er vorab ein Exposé geschrieben hat - also sich nicht hat treiben lassen. Insofern ist es etwas untypisch. Es stimmt auch nicht, dass er in den "längeren Formen" besser ist, eigentlich empfinde ich das Gegenteil und habe besonders einige Kurzgeschichten sehr geschätzt.


    Irgendwann wurde Murakami etwas literarischer, wie in "Nach dem Beben" und "Afterdark". Letzteres wirkte auf mich sprachlich fortgeschritten, aber inhaltlich wie ein Aufguss. Müde. In "Kafka am Strand" gab es wundervolle Szenen, aber auch das ist eher zusammengesetzt aus "Hard Boiled Wonderland" und älteren Büchern.


    Was ich an Muarakami besonders sympathisch finde, ist, dass er zusammen mit seiner Frau eine Jazzbar mit "Katzen-Nippes" betrieb und dort abends sein erstes Buch schrieb :) Weniger, dass er inzwischen fast buchhalterisch seine Schreibzeit plant. Hemingway hat das nach eigener Aussage auch gemacht, nach "Zeugenaussagen" aber nicht allzu konsequent - das heißt, er hat sich durchaus schon vor 12 Uhr die Kante gegeben.


    Aber irgendwie beneide ich darum, dass für dich die Bücher neu und frisch sind. Die Erfahrung "Murakami" möchte ich nicht missen; ein wenig ist es wie mit Hesse, es geht weniger um die erzählte Geschichte, sondern die "Welt mit anderen Augen sehen zu können". Irgendwann gewöhnt man sich wohl daran und dann verliert es an Magie.


    Vielleicht irre ich mich da aber auch.


    LG,
    Marcel


    Aha ... würde mich interessieren, was andere dazu meinen, die auch schon mehr von ihm gelesen haben!?
    Ich kenne ja ansonsten nur das autobiographische "What I talk about when I talk about running" sowie "Afterdark". Letzteres ist zwar ebenfalls surrealistisch und hat das Verschwimmen zweier Realitäten zum Thema, ist aber viel dünner als der Wind-up Bird und dementsprechend ganz anders aufgebaut.
    Somit habe ich drei völlig unterschiedliche Murakamis gelesen, wovon mich jeder auf seine eigene Weise erobert hat - und ich weiß nur, dass noch weitere folgen sollen ... aber noch nicht welche. :zwinker:


    Schwer zu sagen - "Wilde Schafsjagd" und "Norwegian Wood" (Naokos Lächeln) kann ich empfehlen. Das "Marathon"-Buch hab ich mit Entsetzen gelesen, obwohl ich mich im Prinzip für Bücher über das Schreiben interessiere. Es wirkte auf mich sprachlich wenig elegant, was aber auch (wieder) an der Übersetzung liegen mag.


    An Kurzgeschichten gefielen mir jene in "Nach dem Beben" besonders gut.


    Ansonsten: Mr. Aufziehvogel war meines Wissens das einzige Werk, das in den Augen Kenzaburo Oes Gnade fand. Der teilt sonst eher Sigrid Löfflers Auffassung von literarischem Fastfood - was ich nachvollziehen kann, aber ganz und gar nicht teile.


    LG
    Marcel


    EDIT: Habe diese Diskussion vom Thread zu Mister Aufziehvogel abgetrennt. LG, Saltanah

    Dazu passt folgendes Zitat (zu Roberto Bolaños 2666, zitiert hiervon: http://www.slate.com/id/2203471)


    "According to Proust, one proof that we are reading a major new writer is that his writing immediately strikes us as ugly. Only minor writers write beautifully, since they simply reflect back to us our preconceived notion of what beauty is; we have no problem understanding what they are up to, since we have seen it many times before. When a writer is truly original, his failure to be conventionally beautiful makes us see him, initially, as shapeless, awkward, or perverse. Only once we have learned how to read him do we realize that this ugliness is really a new, totally unexpected kind of beauty and that what seemed wrong in his writing is exactly what makes him great."


    Etwas verkürzt übersetzt: "Nach Marcel Proust ist ein Beweis dafür, dass wir etwas völlig Neues lesen, dass wir sofort für hässlich halten. [...] Wenn ein Schriftsteller tatsächlich etwas Eigenes schafft, dann scheint es erst formlos, seltsam oder pervers zu sein. Erst, wenn wir verstanden haben, wie wir es zu lesen haben, verwandelt sich die Hässlichkeit in eine völlig unerwartete Form von Schönheit und das, was uns bisher falsch erschienen ist, macht es erst tatsächlich großartig."


    *winke*
    Marcel

    Hallo Bluebell,


    erstaunlich, ist das Buch tatsächlich noch nicht besprochen worden?


    Mister Aufziehvogel halte ich für *den* Schlüsselroman von Murakami. Zu deinen Kritikpunkten: Die Übersetzung ist tatsächlich suboptimal. Man kann das leicht nachprüfen, denn es gibt den Anfang auch als Kurzgeschichte in einer anderen Übersetzung, die wesentlich besser ist. Die Längen, die du beschreibst, hat es für mich auch gehabt (das Leseerlebnis liegt allerdings bei mir über zehn Jahre zurück). Das betraf aber vor allem das letzte Drittel.


    Was ich beeindruckend fand war die Auseinandersetzung zwischen den "Gewinnlern" und "Machern" und den "Zuschauern". Warum sind manche Menschen erfolgreich und andere nicht, warum folgt "die Masse" den "Verführern"? Murakami beschreibt mit seiner Hauptfigur einen Charakter, dem alles abhanden kommt und der sich eher treiben lässt, als aktiv zu werden. Das macht er in seinen anderen Büchern auch, im Aufziehvogel ist allerdings der "Gegenspieler" wesentlich konkreter - das Buch stellt die Frage, warum der Mensch zu teilweise abartigen Grausamkeiten fähig ist und warum Menschen Leithammeln folgen. In "Tanz mit dem Schafsmann" hat er diese Frage wieder aufgenommen, allerdings vergleichsweise verwässert.


    Es ist diese Auseinandersetzung zwischen "Träumern" und pragmatischen "Realisten", die mich für das Buch so sehr eingenommen hat. (Übrigens, kürzlich lief die Doku im TV über die "Erben von Mengele" - Wissenschaftler, die rational kühl Unmenschlichstes getan haben und - weil die Auswertungen von den Siegern begehrt waren - meist damit auch davonkamen.). Das ist m. E. das große Thema, das Murakami ausbreitet.


    Der Anfang lässt sich locker und leicht lesen, man findet sich sofort in dieser leicht magischen und poetischen Welt zurecht. Mit dem ersten Bericht eines Kriegs-Überlebenden ändert sich der Ton ganz und gar und ließ mich eher verstört und nach Atem ringend zurück.


    Murakami nimmt viele Motive aus den vorangegangenen Büchern wieder auf, wie den Brunnen, der in Norwegian Wood etwas eigenartig am Anfang steht.


    Etwas wehmütig sehe ich nun aber doch auf das Werk zurück, es kommt mir vor, als habe Murakami damit das gesagt, was er zu sagen hatte. Und ist nach diesem Marathonlauf etwas müde geworden, in "Sputnik Sweetheart" nimmt er das Schreiben als Thema wieder auf, "Kafka am Strand" wirkte auf mich uninspiriert. Wenn man die Kraft nicht mehr für die Fiktion hat, wendet man sich der Realität zu, was im Falle Murakamis vielleicht mit dem Buch "Untergrundkrieg" passiert ist. Ich schätze auch spätere Bücher von ihm ("Nach dem Beben"), aber mit Mr. Aufziehvogel hat der Autor m. E. seinen Zenith erreicht gehabt.


    Fünf Ratten ;)


    Liebe Grüße,
    Marcel


    Oh ja - ich kann nur wenige Gedichtzeilen auswendig, aber diese - tatsächlich aus dem Spiegelland - gehören dazu. In der Übersetzung von Dieter H. Stündel heißt es:


    "'S war brollig und schleimdig Teufs
    rumbten und korkten in Genäuern
    ganz jämmsig war'n die Bürogreufs;
    und die meimen Raffels gräuern."


    Zeigt für mich wieder, wie genial die Übertragung von Enzensberger ist - mehr als eine Übersetzung. Von der Stündel-Ausgabe war ich etwas enttäuscht, auch wenn Sylvie & Bruno ein echter Schatz ist. Ich kannte zuvor nur eine Übersetzung des ersten Teils, die nach einem Vorschlag von Arno Schmidt in zwei Spalten gesetzt worden ist. Arno Schmidt hat nicht nur positive Spuren in der Literatur hinterlassen ...


    Ich rate also auch zur Enzensberger-Übersetzung, wenn es nur um Alice im Wunderland/Spiegelland gehen soll.


    Ich habe das Buch gerade eben zu Ende gelesen und bin einfach nur begeistert. Ich glaube ich muss meine Gedanken noch etwas ordnen, bevor ich mehr dazu schreiben kann, aber ich habe hiermit wahrscheinlich mein Highlight 2008 gelesen!


    :redface:


    Stefanie, ich danke dir sehr und bin nun ganz gespannt darauf, was du noch schreiben magst.
    Mir fehlen - wie so oft - gerade die Worte. Und freue mich riesig.


    Liebe Grüße,
    Marcel

    Inzwischen hat Denis Scheck das Buch in "Druckfrisch" verrissen: "Der Turm" will ganz ungemein deutsch, ganz ungemein bürgerlich und ganz ungemein Kunst sein. Bei all dem deutschen bürgerlichen Kunstwollen entsteht ein Geruch nach Schweiß wie in der Umkleidekabine eines Fußballoberligisten nach der Halbzeitpause.


    [url=http://www.daserste.de/druckfrisch/thema_dyn~id,251~cm.asp]http://www.daserste.de/druckfrisch/thema_dyn~id,251~cm.asp[/url]


    Klingt eher abschreckend, ein Urteil kann ich mir aber nicht erlauben.

    Ich habe auch vor es nochmal zu lesen, allerdings dann wenn ich konzentrierter bin und mehr die ruhe weg habe.
    Lesenswert ist es sicher, nur eben wenn man nicht ganz bei der Sache ist nützt das beste Buch nicht viel.


    Hallo Pinky,


    da bin ich ganz bei dir ...


    Mir ging es übrigens so mit "Tanz mit dem Schafsmann", das hat ewig gedauert, bis der Funken übersprang - danach war aber kein Halten mehr.


    :winken:
    die Nudelsuppe

    Das Buch ist wirklich schräg. Fast schon ein wenig zu sehr :breitgrins:. Mich hat es so sehr verwirrt das ich es abbrach. Für sowas muss ich mir dann doch mehr Zeit nehmen und vorallem mehr ruhe haben.


    Durchhalten ;)


    Irritiert war ich von Hard Boiled Wonderland ebenfalls, ich kannte zuvor nur die Kurzgeschichten und "Wilde Schafsjagd" von Murakami. Im Gegensatz zu einigen seiner anderen Bücher ist der Schluss allerdings sehr stark, hier patzt für mich Murakami besonders bei "Kafka am Strand", das ebenfalls zwei Handlungsstränge abwechselnd erzählt. Der Grund könnte daran liegen, dass Murakami Hard Boiled Wonderland geplottet hat - die Handlung stand schon vorher fest. Seine anderen Romane - soweit mir bekannt - entstehen nach der Stephen King-Methode, das heißt, die Geschichte entsteht erst während des Schreibprozesses. Das macht auch einen Teil der Magie der Geschichten aus, hat aber das Problem, am Ende alle Fäden und Motive zusammenzuführen - was die vielen losen Enden in Murakamis Werk erklären könnte.


    Übrigens nimmt Murakami in Kafka am Strand am Ende auch Motive aus Hard Boiled Wonderland auf.


    Nun ja, was ich sagen will: Es ist ein wunderbares Buch, das sich erst ganz entfaltet, wenn man den Schluss gelesen hat.


    Grüße,
    die Nudelsuppe


    Auf jeden Fall hab ich recht großes Interesse an dem Buch und wahrscheinlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis ich es mir holen werd - aber bei dem Gedanken an die 30 Euro kommt mir immer der Gedanke, dass man dafür auch 3 Taschenbücher kriegt und man Gegen den Tag dann wohl auch auf nächsten Monat verschieben könnte. :breitgrins:


    Taschenbücher ... Abgesehen vom Inhalt, das Buch an sich ist grandios aufgemacht und ein Genuss, von der Typografie angefangen bis zum Papier. An Lesezeit dürfte es auch mehr als drei übliche Taschenbücher verschlingen, die 1600 Seiten sind sehr "voll". Hineingesogen wird man allerdings nicht, zumindest mir geht es nicht so - der Genuss an dem Buch hat andere Ursachen, die aber schwer zu bestimmen und individuell verschieden sein dürften.


    Jules Verne und Steampunk stehen am Anfang sicherlich Pate, neben Jules Verne könnte auch Final Fantasy VI eine Inspiration gewesen sein - dann gibt es immer wieder Abschnitte, die hinreißend sind, wie der Kugelblitz, der Familienanschluss findet. Dann einzelne Sätze und Formulierungen, die selbst wie Kugelblitze im Hirn ihr Unwesen treiben und das Lesen unterbrechen. Dabei wirkt das Buch auf mich wie ein Theater aus Blechfiguren, die durch eine seltsame Mechanik angetrieben werden - man versucht, diese vertrackten Mechanismen zu verstehen.


    Um es kurz zu machen: Es ist eines der faszinierendsten Bücher, das ich je in der Hand hatte, und im wahrsten Sinne unbezahlbar. Vielleicht ändert sich mein Eindruck noch, im Moment fürchte ich, dass ich "Gegen den Tag" in Echtzeit lesen werde. Also wie Pynchon neun Jahre für sein Buch brauchen könnte.


    Liebe Grüße,
    Marcel