Hallo, ihr Lieben!
Damit habt ihr ein ziemlich heißes Thema angesprochen ...
Ich möchte jetzt mal die "historicals" ohne jegliche Wertung außen vorlassen, denn es wäre ziemlich unfair, das alles über einen Kamm zu scheren.
Wenn allerdings mit der historischen Atmosphäre etc. eines Romans geworben wird, dann schaue ich auch genauer hin, ob mir das realistisch bzw. glaubwürdig erscheint, was dem Leser da verkauft wird. Immerhin gehen die Leute hin und legen ihr gutes Geld dafür auf den Tisch.
Ich erwarte von jedem Autor eines historischen Romans, daß er mehr als nur ein paar Sachbücher und Mayers Konversationslexikon durchgeht, d.h., daß ihm die neueste Forschung nicht völlig unbekannt ist. Sachbücher hingegen sind leider viel zu oft ein Fundus an völlig veralteten Ansichten, die von Autorengeneration zu Autorengeneration ohne jegliche Überprüfung weitergeschleppt werden. Doch das Bedienen längst überholter Vorurteile (Hexenwahn im Mittelalter, Hygiene, Ernährung, Krankheiten, Kampftechnik, Handwerk etc.) gehört für mich zu den Grundübeln sogenannter historischer Literatur.
Außerdem erwarte ich, daß ein Autor, wenn ihm die historische Realität einen Strich durch die Rechnung macht, niemals diese Realität an seinen Plot anpaßt und damit verfälscht. Wer im Mittelalter Hexen jagen läßt, römische Legionäre mit den Schwertern auf ihre Gegner einhauen läßt, griechischen Reitern Steigbügel verpaßt oder im Mittelalter eisige Winter schildert, beweist damit, daß er sich nicht sonderlich um die Hintergründe gekümmert hat. Denn die jeweiligen historischen Umstände bestimmen das Denken, Fühlen und Handeln der Menschen der jeweiligen Zeit -- egal ob das nun natürliche oder kulturelle Sachverhalte sind.
Was mich besonders entnervt, ist, daß extrem viele Autoren eigentlich nur eine Art Zeitreise-Romane schreiben; man charakterisiert eine Figur als "ihrer Zeit voraus", indem man eine Person des 20./21.Jahrhunderts in eine bunte Kulisse transferiert, damit es mal so richtig rundgeht (Stichwort: "pralles Leben" -- Ogottogott! ). Auf die Spitze getrieben wird das mit Romanen, deren Hauptfiguren weiblich ist. Da wird dem modernen Emanzipationsstreben der Heldin und der beim Leser vermuteten Vorurteilskiste meist (nicht immer) nahezu alles an historischer Glaubwürdigkeit geopfert.
Der einzige Grund, den ich für Abweichungen von diesem Prinzip akzeptieren kann, ist ein schlüssiges poetisches Konzept wie bei Schiller, Feuchtwanger oder Eco. "Unterhaltung" ist für mich kein Argument, da Unterhaltung m.A.n. aus der Perspektive des Autors (!) Mittel zum Zweck ist und nicht Selbstzweck von Literatur (niemand erzählt Geschichten, weil er unterhalten will, sondern weil er etwas Bestimmtes erzählen will -- und indem man seine Zuhörer/Leser "unterhält", gewinnt man sie für das Erzählte!).
Ich persönlich habe die Frage der historischen Genauigkeit immer als Herausforderung angesehen, wie Menschen in einer entsprechenden Situation damals Probleme lösten, und keineswegs als einengende Fesseln, die man ruhig auch mal sprengen darf. Selbstverständlich sind bei aller Sorgfalt Fehler dennoch nicht zu vermeiden und werden spätere Generationen, die ein anderes Bild der betreffenden historischen Epoche haben, mir meines als historische Ungenauigkeit ankreiden. Jedes Bild einer historischen Epoche ist letztendlich nichts weiter als eine Annäherung, kein perfektes Abbild -- aber das darf keine Rechtfertigung dafür sein, die historische Realität bzw. unsere Kenntnis davon als einen knallbunten Fundus für eine billige Maskerade auszuschlachten, nur um den Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen.
Das Obige gilt -- wie eingangs geschrieben -- selbstverständlich für Literatur, die mit dem Etikett "historisch" beworben wird bzw. für den historischen Anteil z.B. eines historisch-phantastischen Romans, insofern dieser als "historisch" etikettiert wird, um ihm Seriosität zu verleihen.
Nur meine 2 Cent ... nichts für ungut!
Liebe Grüße
Iris